Geschlossene Türen und Schlüsselmomente

Auf unserem ersten gemeinsamen Weg durch Wilhelmsburg haben wir den Stadtteil zu Fuß erkundet. Unser Ziel war die ehemalige Kirche St. Maximilien Kolbe, in der heute der Malteser-Campus untergebracht ist.

 

Wir waren noch ganz am Anfang und haben versucht, mit allen Sinnen und unserer ganzen Aufmerksamkeit möglichst alles zu erfassen, was irgendwie von Bedeutung sein könnte. Uns fielen die zahlreichen Ladenlokale auf, in denen die unterschiedlichsten Sozialdienste und Initiativen untergebracht waren – viele im Arbeitsfeld Kinder und Jugendliche, die auch Teil unseres Auftrags

(„…zum Wohl junger Menschen“) sind. Sollte Wilhelmsburg gar nicht unser Ziel sein?

 

An einer Straßenkreuzung ist der Energiebunker zu sehen. Während wir an der Ecke stehen und laut darüber nachdenken, einen Abstecher in das Café in dem Bunker zu machen und den Weitblick über den Stadtteil zu genießen und uns zu orientieren, hören wir neben uns eine Stimme. Eine Frau sitzt direkt neben uns an einem der Tische eines rustikalen Ecklokals. Mit dem Rätselheft in der Hand und vom Leben angerauter Stimme sagt sie: Das hat heute geschlossen. Es wird nicht die letzte verschlossene Tür des Tages sein.

 

Der Weg führt weiter Richtung Bahnhof. Es wird unpersönlicher, zugiger, größer und irgendwie trauriger. Am Luna-Center vorbei, entlang an Hochhäusern und mittendrin finden wir die spiralförmige ehemalige Kirche. Ein Betonbau aus den 1970er Jahren. Wir gehen einmal drum herum. Ein kleiner Grünstreifen, ein verlassener Einkaufswagen, Müll. Vor dem Gebäude nichts als Teer, Beton und Steine.

 

Die Eingangssituation ist unklar. Geht es jetzt durch diese Tür hinein oder landen wir im daneben liegenden Altenstift? Wir probieren es. An der verschlossenen Tür machen wir eine Entdeckung. Jemand hat dort Holzlatten beschriftet und abgestellt. Es wirkt wie eine unfreiwillige Kunstinstallation. Auf der Latte steht:

 

„Die Natur ist Gott

 

Die Liebe

 

Ihre allumfassende Kraft

 

Und dann steht da noch: „Wie hässlich/grau darf denn ein Gotteshaus eigentlich sein?"

 

Daneben noch eine Inschrift auf einer Latte: Schlüssel gefunden. Daneben eine Zeichnung des Schlüssels mit weiteren Angaben.

 

Wir brauchen eine Weile, um uns von dem ersten Eindruck dieses wuchtigen und verschlossenen Gebäudes zu erholen. Aber wie es scheint, auch wir haben auf der Holzlatte einen wichtigen Schlüssel gefunden inmitten der Hochhäuser und dem Beton. Die Natur.

 

Eine Holzlatte, das ist ja Teil eines ehemaligen Baumes.

Von seinen Wurzeln getrennt.

Von Menschen in seine Form gezwungen.

Kein Ast würde so wachsen.

 

Und die Betonkirche? Wie würde eine Kirche aussehen, eine Heilige Gemeinschaft, die natürlich gewachsen ist?

 

Tatsächlich ist Natur – besser gesagt ihre Abwesenheit – ein ganz zentrales Thema in dem Viertel, unweit der ehemaligen Kirche aus Beton, in dem wir (Frühjahr 2023) mittlerweile gelandet sind.