Giganten und Alltagskampf

Am Beginn unserer Reise als Fresh X-Team hatten wir Antworten auf der Straße gesucht und gefunden - ganz ähnlich dem Vorgehen bei den Straßenexerzitien. Und nun, im Herbst 23, war es an der Zeit, dass wir uns wieder auf den Weg machten. Wir hatten schon länger das Gefühl, an einer Schwelle zu etwas Neuem zu stehen und brauchten wieder neue Impulse von außen. So zogen wir wieder auf die Straße – bewusst mal an einen ganz anderen Ort, fern von unserem Quartier.

 

Im Herbst 2023 sind überall in der Stadt Plakate einer Show zu sehen: Die „Giants of Iron“ stehen auf der Horner Rennbahn. Eine Inszenierung von machtvollen Transformers, gepaart mit einem seltsamen Mix aus Star-Wars und Marvel-Helden. Größe, Macht und Unbesiegbarkeit werden in einem Zirkuszelt als Event für die Familie angepriesen.

 

Diese machtvollen Figuren stehen in krassem Widerspruch zu den Gegenden, die wir an einem Herbsttag zu Fuß durchquerten. In Billstedt, Jenfeld und Tonndorf begegneten uns eher Machtlosigkeit und Verletztheit auf der Straße.

 

Wie ein großer Streifen ziehen sich diese Stadtteile im Hamburger Osten am Stadtrand entlang. Hochhaussiedlungen aus den 1970ern und Straßenzüge normalbürgerlicher Einzelhausbebauung mischen sich. Im Einkaufszentrum Billstedt gibt es ein großes Angebot eher kleinpreisiger Geschäfte. In den Straßen drum herum fallen uns immer wieder Änderungsschneidereien auf. Und überall diese Plakate, die Giganten aus Eisen ankündigen.

In dem von Grün und gesichtslosen Straßen durchzogenen Siedlungsstreifen, den wir durchwandert haben, wohnen Tausende Menschen, die doch alle eine Sehnsucht haben: Ein gutes Leben. Und darum kämpfen sie. In vollen Bussen, in denen sie dicht gedrängt stehen, mit ihren Einkaufstaschen von Primark und Action. Welche Mittel im Lebenskampf können wir als Teil von Kirche den Menschen geben?

 

So viel ist sicher, so sehr die Menschen sich nach Stärke und Unverwundbarkeit im Kampf sehnen, die Giants of Iron können nicht unser Angebot sein. Im Gegenteil. Die machtvollen Inszenierungen haben letztendlich keine Haltbarkeit. Sie zerbrechen schon an den nächsten Klippen des Lebens, die ganz sicher kommen, wenn der Zirkus schon lange weitergezogen ist. Und dann?

 

Die Bibel erzählt, dass der junge David in der viel zu großen Eisenrüstung von König Saul dem Goliath, also dem erschreckendsten Gegner, begegnen soll. Aber David sagt zum König: „Ich kann in diesen Sachen nicht gehen (1. Sam 17,39)“ und zieht die Rüstung des Königs wieder aus. Am Ende schlägt David den Goliath mit den Waffen der kleinen Leute.

 

Im harten Alltag sind die Waffen der kleinen Leute die Solidarität, die gegenseitige Hilfe und das Miteinander. Für uns stehen die vielen Änderungsschneidereien auf unserem Weg symbolisch für diese Form des Alltagskampfes. Mit einfachen Mitteln, mit Handwerk und mit einer dienenden Haltung wird das Leben erträglicher und die Rüstung des Alltags wird tragbar.

 

Und darum, das ist das Ergebnis unseres Übungstages, wird es darum gehen, als Kirchenmenschen nicht mit einer Agenda der Macht aufzutreten, die dem Alltag nicht standhält und die unbeweglich macht. Vielmehr geht es darum, mit der eigenen Schwäche und Verwundbarkeit anzutreten, und mit den einfachen Mitteln, die frei und beweglich machen.