Was bringt´s?

Das Fresh X Projekt ist ein vom Erzbistum Hamburg initiiertes Lernprojekt. Nach einem Jahr Projektzeit werden jetzt Erwartungen größer. Immer wieder ist uns da eine Frage entgegengetreten. Manchmal neugierig. Manchmal mit vorwurfsvollem Unterton: Was bringt´s? Was bringt uns das? In der eigenen Logik ist diese Frage berechtigt. So gehen organisationale Systeme ja erst einmal davon aus, dass sie richtig sind und alles Fremde und Neue beweisen muss, ob es „reinpasst“ und etwas anzubieten hat. Also, sagt mal, was bringt´s der Kirche?

 

Nun, das können wir nicht beantworten. Das wollen wir auch gar nicht beantworten. Denn – Achtung, mind change – das muss Kirche ja selbst entscheiden: Was wollen wir denn lernen?

 

Die Beharrungskräfte sind groß. Wir können nicht machen, dass Menschen in der Kirche solche Projekte gut finden. Wir können Veränderungen nicht erzwingen. Aber wir können Geschichten erzählen. Geschichten von dem, was wir in unserem Quartier in Wilhelmsburg mit den Menschen erleben und wo wir darin Gott finden.

  

Was uns Amir und Mahila lehren

Wir können von Amir erzählen. Amir haben wir auf dem Spielplatz kennen gelernt, wo er uns direkt mit der Frage überrascht hat, ob wir an Gott glauben. Glaube ist ein wichtiges Thema in seinem Leben – und deshalb sprechen wir immer wieder darüber. Im wöchentlichen Nachbarschaftstreff hat er seinen Platz gefunden. Er genießt die Aufmerksamkeit, die Kekse und er liebt das Spiel, bei dem man sich gegenseitig Fragen stellen muss auf die man nicht mit Ja oder Nein antworten darf. Und dann eines Tages schaut er beim Spielen auf die Uhr und sagt: „Oh, wir müssen jetzt aufhören. Wir müssen ja noch aufräumen.“ Er sortiert Teebeutel in ihre Packungen zurück, schleppt Stühle und bringt sogar den Müll raus. Er übermittelt uns damit seine Entscheidung: Ich gehöre hier dazu.

 

Wir können von Mahila erzählen. Die 15-Jährige Mahila begleitet immer ihre zwei kleinen Schwestern in den Kidsklub, weil die nicht alleine kommen dürfen. Sie erzählt uns von Videos auf Tiktok. In denen geht es um ehrenamtliches Engagement in der Gesellschaft und welche Bedeutung das für den eigenen Lebenslauf haben kann.

Jetzt möchte sie sich ehrenamtlich engagieren. Aber sie weiß noch nicht genau, wie man das angehen kann. Wir geben ihr Tipps und bieten ihr an sich mal im kleinen Rahmen auszuprobieren. Das nimmt sie an und organisiert eine kleine Aktion innerhalb des Nachbarschaftstreffs.

Mit dieser positiven Erfahrung wird sie mutiger und macht sich selbstständig auf den Weg ins Stadtteilbüro, um einen Raum und Geld zu organisieren. Vor dem Quartiersbeirat stellt sie ihr Vorhaben vor und beantragt 25 € aus dem Quartiersfonds. Letzte Woche startete ihr erstes eigenes Projekt: Ein Mädchentreff für Mädchen in ihrem Alter, der dem Ablauf und Inhalt des Kidsklub sehr ähnelt. Wir staunen: Mahila hat erlebt, was sie wertvoll am Programm des Kidsklub findet und macht nun ihr eigenes Ding daraus.

 

Wohlbefinden im Quartier durch Offenheit und gemeinsame Werte

Wir können vom coreszon-Workshop erzählen. Eine kleine Gruppe. Menschen aus der Nachbarschaft, Engagierte aus dem Quartier, Muslim:innen, Christ:innen, Nicht-Religiöse. Gemeinsam üben wir, wie wir mehr Wohlbefinden in unserem Leben spüren und mit Stress umgehen können. Obwohl wir uns nicht gut kennen, sind die Treffen von großer Ehrlichkeit und persönlicher Offenheit geprägt. Wir sind mittendrin im Gespräch, was uns Kraft gibt im Leben. Und ganz selbstverständlich reden wir da auch über unseren Glauben. Wir sind uns einig: Die unterschiedlichen Ansichten und Praktiken sind für uns nichts Trennendes, sondern zeigen einen gemeinsamen Wert auf: Dass Menschen sich in Wertschätzung begegnen. Da war ein ganz besonderer Moment im Raum. Den Faden, der uns als Menschen miteinander verbindet, konnte man innerlich spüren. Das war berührend.

 

Wir können noch viele weitere Geschichten erzählen. Und nein, keine der Geschichten endet damit, dass Menschen in Gottesdienste kommen. Oder Mitglieder der Kirche werden. Oder dass sich die Kirche verändert.

 

Kirche kann Kraft freisetzen

Aber wir können beschreiben, dass Menschen sich verändern. Sie lernen neue Fähigkeiten kennen, erleben sich als Teil einer Gemeinschaft, entdecken Ressourcen und erweitern ihre Handlungsoptionen. Wo Menschen sich verbinden, wird eine Kraft freigesetzt, die neue Möglichkeiten schafft. Diese Worte haben wir schon vor längerer Zeit als unser Mission Statement formuliert. Nach einem Jahr sind diese Worte mit Leben gefüllt. Hier wirkt etwas. Hier begegnen sich Menschen in Liebe und Freundlichkeit, Frieden wird spürbar, in Geduld und Großzügigkeit bemüht man sich umeinander. Und ist es nicht genau das, woran wir die Geistkraft Gottes erkennen können (Gal 5, 22/23)?

 

Was bringt´s? Liebe Kirche, welche Entdeckung machst du in diesen Geschichten? Welche eigene Geschichte und (Zukunfts-)Vision kannst du daraus entwickeln?

 

„Die Kirche“. Das bist du. Das bin ich. Das sind nicht nur die Verantwortlichen da oben, sondern jede und jeder. Daher laden diese Fragen zu einer grundsätzlichen Haltung ein: Das Fremde und Andere in meinem Leben von der Beweispflicht entbinden – und meinem eigenen Interesse zuwenden. Wie kann etwas für mich Neues mein Leben bereichern? Auf welche Fragen kann ich daraus Antworten ableiten? Wo kann ich darin Gott finden?

 

Wir erspüren: Mit dieser Haltung, in dieser spirituellen Suche, formt sich langsam eine Gemeinschaft. Wir sind voller Vorfreude zu erleben, welche Kraft sich daraus noch entwickeln wird.